1. DDR VermG / Gemeinsame Erklärung / Einigungsvertrag / EMRK
• Die nach Krenz/Modrow gewendete DDD war am 17.06.90 ein Rechtsstaat geworden. Die neu gewählte Volkskammer beschloss das DDR-Vermögensgesetz, wonach den NS/DDR-Opfern die Rückgabe von enteigneten, volkseigen gewordnen Sachen („weiße Felder“ = Sachen in öffentlicher Hand) zustand.
• Für redlich erworbene Sachen in Privathand („schwarze Felder) sollte ein Entschädigungsgesetz erlassen werden, was aber vor dem 03.10.90 der DDR nicht mehr gelang.
• Das DDR-Vermögensgesetz sah also Rückgabe vor. Art. 9 I EV macht das DDR-Vermögensgesetz zu integralem Bundesrecht. Es verliert durch Art. 9 I EV seinen Charakter als „DDR-Recht“ und unterliegt damit den Auslegungsregeln eines Bundesgesetzes. Das DDR-Vermögensgesetz gilt in der aktuellen Fassung der Neubekanntmachung vom 02.12.94 als „Vermögensgesetz“ fort.
• Das Vermögensgesetz regelt Vermögensunrecht. § 1 VIII a VermG sagt, dass es nicht für SBZ-Opfer gilt. Dies bedeutet aber nicht, dass die SBZ-Opfer leer ausgehen, sondern es besagt nur, dass ihre Fälle (besatzungsrechtliches, besatzungshoheitliches Verfolgungsunrecht) nicht direkt im/vom Vermögensgesetz geregelt werden. § 1 VIII a VermG schmälert also nicht die „berechtigte Erwartung“ auf rechtsstaatlich korrekte Behandlung in einer anderen Vorschrift.
• In der Gemeinsamen Erklärung (GE) wird der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung festgeschrieben. Die GE wird Vertragsbestandteil im Einigungsvertrag (EV).
• Während damit für NS/DDR-Opfer bereits am 03.10.1990 durch Rückgabe von „weißen Feldern“ eine am Verkehrswert orientierte Wiedergutmachung gegeben war, die auch voll und ganz konventionsrechtlich trägt, gab es eine entsprechende Regelung für die SBZ-Opfer noch nicht.
• Nach Nr. 1 der GE sollten „Ausgleichsleistungen“ für SBZ-Opfer vom gemeinsam gewählten Parlament erst noch beschlossen werden. Weil diese Kodifizierung am 03.10.90 noch nicht vorlag, hatten auch SBZ-Opfer nach dem 03.10.1990 eine „berechtigte Erwartung“ auf faire Wiedergutmachung, also nicht diskrimienierende Behandlung im Vergleich zu ihren „Brüdern und Schwestern“ gemäß Art. 14 EMRK. Offen war am 03.10.1990 für die SBZ-Opfer also lediglich, wie und in welchem Gesetz ihr Anspruch auf Wiedergutmachung geregelt werden würde.
• Alle SBZ-Opfer durften nach dem 03.10.90 konventionsrechtlich damit rechnen, vielleicht anders, aber doch wertmäßig nicht wesentlich schlechter als die anderen Opfergruppen behandelt zu werden. Diesen Gestaltungsspielraum gibt Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK dem Staat. So sieht es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem 1. Bodenreformurteil von 1991: „Dagegen verbiete die Regelung (Nr. 1 Satz 1 GE) nicht einen vermögenswerten Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen.“
• Diese „berechtigte Erwartung“ bestand für die SBZ-Opfer konventionsrechtlich auch deshalb nach dem 03.10.90, weil die UdSSR/DDR – neben dem Vorbehalt, dass die Bodenreform nicht rückgängig gemacht werden sollte – keine die Wiedergutmachung reduzierenden Bedingung gestellt hat und die - bei Missachtung - das Staatsziel Wiedervereinigung gefährdet hätte (Art. 15 EMRK – Abweichung im Notstandsfall).
• Die Gründe, warum Schäuble in die Gemeinsame Erklärung den Begriff „Ausgleichsleistung“ hinein und „Entschädigung“ aus dem Entwurf hinausbugsiert hat (Der Vertrag, S. 255 ff), zeigen zwar, dass die Regierung plante, eine große Gruppe von SBZ-Opfern politisch/willkürlich schlechter als andere zu behandeln. Ob der Gesetzgeber und die Gerichte diesem Plan aber folgen würden, war damals vollkommen offen und ist rechtlich unerheblich, so dass DDR-Opfer - trotz Schäubles „Geistesblitz“ - bis zum Abschluss des beabsichtigten Gesetzgebungsverfahrens eine die Konvention wahrende und damit „berechtigte Erwartung“ hatten.
• Fazit: Für SBZ-Opfer war am 03.10.90 in Bezug auf Wiedergutmachung nichts konkret geregelt. Wegen Art. 14 EMRK i.V.m. mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zu EMRK hatten sie eine „berechtigte Erwartung“, moralisch und materiell nicht schlechter behandelt zu werden als andere, für die alles schon konventionsrechtlich befriedigend geregelt war.
2. VwRehaG / StrRehaG
• Wie zuvor dargelegt, hatten alle SBZ-Opfer wegen Art. 3 und 20 GG die „berechtigte Erwartung“, wenn schon nicht direkt im Vermögensgesetz, so doch in Rehabilitierungsgesetzen eine Wiedergutmachung zu erfahren.
• Der Bundestag hat nach dem 03.10.90 ein Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) und ein Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) erlassen. Die zu rehabilitierenden Sachverhalte unterscheiden sich wegen unterschiedlicher Zuständigkeiten der damals verbrecherisch agierenden SBZ Organe (Bodenkommissionen/Strafverfolgungsbehörden), nicht jedoch in der Schwere der politischen Verfolgung oder wegen des „Strafcharakters“ (z.B. Staatsanwaltschaft Schwerin, 20.03.2000, Az 137 RHS 48/99) der Verfolgungsmaßnahmen im Zuge der Bodenreform.
• Im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) von 1992 gelingt eine adäquate Wiedergutmachung, denn es sieht Rückgabe der „weißen Felder“, oder - wo dies nicht mehr möglich ist (z.B. Überbauung mit Schule, Straße etc.) eine Entschädigung zum Verkehrswert vor. „Schwarze Felder“ werden nur „mau“ entschädigt, was aber bei anderen Opfergruppen auch der Fall und deshalb konventionsrechtlich unbedenklich ist.
• Im Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) werden SBZ-Opfer von einer Rehabilitierung durch § 1 I 3 VwRehaG (bzw. durch dessen falsche Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht) ausgeschlossen, obwohl der Strafcharakter der damaligen politischen Verfolgung feststeht. Diese Norm ist eine Verletzung der Konvention. § 1 I § VwRehaG verletzt die Art. 14 EMRK mit der Folge, dass SBZ-Opfer auch bei „weißen Feldern“ nur „mau“ nach EALG entschädigt werden. Das ist nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK unzulässig.
• Im VwRehaG werden sogar vermögende DDR-Grenzopfer nach § 3 VwRehaG rehabilitiert und haben einen Rückgabeanspruch bzw. Anspruch auf adäquate Entschädigung bei „weißen Feldern“. Vermögende SBZ-Opfer werden im gleichen Gesetz wegen § 1 I 3 VwRehaG davon ausgeschlossen. Auch das ist eklatant konventionswidrig.
• Fazit: SBZ-Opfer hatten am 03.10.90 die „berechtigte Erwartung“ wegen schwerer politischer Verfolgung rehabilitiert zu werden. § 1 I 3 VwRehaG ist selber oder wegen seiner falschen Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht der Stein im Weg zu einer fairen Wiedergutmachung. § 1 I 3 VwRehaG verletzt Art. 14 EMRK direkt.
3. Vermögenszuordnungsgesetz (VZOG)
Wie diskriminierend das deutsche Wiedergutmachungsrecht in Bezug auf eine Opfergruppe ist, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass selbst innerhalb der SBZ Gruppe unterschiedlich verfahren wird: Ausländer, Kommunen, politische Parteien bekommen zurück, obwohl allesamt besatzungshoheitlich enteignet wurden. Die Bevorzugung von Körperschaften wird seit dem 22.03.1991 im Vermögenszuordnungsgesetz (VZOG) geregelt. Nur private und juristische Personen werden ausgegrenzt. Dies verletzt Art. 14 EMRK.
4. EALG – Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz
• Das EALG wurde 1994 erlassen. Es ist kein Rehabilitierungsgesetz, sondern es regelt u.a den Entschädigungsanspruch, wenn Rückgabe infolge anderer Bestimmungen nicht möglich oder aus strukturpolitischen Gründen nicht gewollt ist.
• Wer einen Entschädigungsanspruch nach dem EALG hat, für den gilt: Je höher das Enteignungsvermögen, desto geringer wird nach EALG die prozentuale Entschädigungshöhe. Dies ist nicht konventionswidrig, solange alle Opfer gleich behandelt werden.
• Sofern das EALG die Entschädigung für „schwarzer Felder“ regelt, verstößt es – bezogen auf die Messlatte Art. 14 EMRK – nicht gegen das Diskriminierungsverbot, weil „schwarze Felder“ auch an NS/DDR-Opfer nicht zurückgegeben werden und folglich solche Fälle in allen Gruppen nur „mau“ entschädigt werden.
• Während NS/DDR-Opfer bei „weißen Feldern“ (Vermögen beim Fiskus) den Verkehrswert durch Hergaben des Objektes oder entsprechend finanziell entschädigt werden, haben SBZ-Opfer nach EALG bei „weißen Feldern“ nur einen sehr kleinen Wiedergutmachungsanspruch, denn wegen der Degressionswirkung in der EALG-Entschädigungsformel kommen SBZ-Opfer bei steigendem Enteignungsvermögen zunehmend schlechter weg (5% vom Verkehrswert), während der Staatsfiskus die „heiße Ware“ zum Verkehrswert versilbern kann oder z.B. an Körperschaften zurückgibt. Diese Gerechtigkeitslücke wird auch dann nicht geringer, wenn man einen bereits geflossenen Lastenausgleich einbezieht. Wegen Art. 14 EMRK hatten die SBZ-Opfer nach dem 03.10.90 aber eine „berechtigte Erwartung“ auf Gleichbehandlung mit ihren „Brüdern und Schwestern“.
• Der Verweis der Bundesregierung, die gravierende Schlechterstellung der Beschwerdeführer beruhe auf der schlechten Kassenlage des Staates und könne auch im Hinblick auf anderes damaliges Unrecht und Leid nicht besser für die Beschwerdeführer ausfallen, sind „schöne“ politische Argumente, sie halten aber konventionsrechtlich nicht, da die Praxis in Deutschland ganz anders ist..
• Fazit: SBZ-Opfer hatten aus vorerwähnten Rechtsgründen nach dem 03.10.90 die „berechtigte Erwartung“, im Vergleich zu ihren „Brüdern und Schwestern“, den Ausländern, den Körperschaften, den Parteien gleich behandelt bzw. nicht diskriminiert zu werden. Das EALG verletzt diesen Grundsatz nicht bei den „schwarzen Feldern“. Das EALG ist jedoch konventionsrechtlich diskriminierend, weil es bei SBZ-Opfern die Entschädigung für „weiße Felder“ und „schwarze Felder“ zusammenfasst.. Ursächlich dafür ist § 1 I 3 VwRehaG.
Der EGMR hat damit folgende „Ballvorlagen“: (1) Völkergewohnheitsrecht, (2) Streichung des § 1 I 3 VwRehaG oder (3) substanzielle Verbesserung des EALG für die „weißen Felder“.
Aus europapolitischen, rehabilitierungsrechtlichen und entschädigungsrechtlichen Erwägungen ist für eine Streichung des § 1 I 3 VwRehaG zu plädieren. Diese Lösung wäre fair, einfach und entspräche den „berechtigten Erwartungen“. Dafür müssen jetzt alle von den Fachleuten Argumente genau geprüft werden und dann auf den Tisch der Großen Kammer. Vielleicht gibt es noch weiter juristische Ansatzpunkte, die sich etwa aus der Präambel des Lastenausgleichsgesetzes und der Haltung aller Bundesregierungen (bis zur Wiedervereinigung) zu dem Verfolgungsunrecht von 1945-1945 herleiten lassen.
Mit dieser Strategie können die Alteigentümer vor dem EGMR rechtlich überzeugend argumentieren und sich zugleich europapolitisch klug verhalten.