Autor trifft Genre - Das Melodrama "Angst essen Seele auf" von Rainer Werner Fassbinder.

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Autor trifft Genre - Das Melodrama „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder.

Einleitung

1. Genre und Autor – ein Definitionsversuch

1.1Der Genrebegriff

1.1.1 Genre

1.1.2 Melodrama

1.2 Der Autorenbegriff                

1.2.1 Der Autor

1.2.2 Der deutsche Autorenfilm der 70er Jahre

1.2.3 Der Regisseur bzw. Autor R.W. Fassbinder

2. Filmanalyse: „Angst essen Seele auf“

2.1 Plot

2.2 Melodramatische Merkmale bezüglich des Inhalts

2.2.1 Handlungsgerüst

2.3 Melodramatische Merkmale bezüglich gestalterischer Mittel

2.3.1 Einstellungen

2.3.2 Bildkomposition (unterschwellige Botschaften)

2.3.3 Filmmusik

2.4 Die Handschrift des Autors in „Angst essen Seele auf“

3. Auswertung

4. Zusammenfassung/ Fazit 


Einleitung

Das Melodrama ist ein Filmgenre, das sich seit seiner Entstehung zwischen Emotionalität und gesellschaftlicher Kritik bewegt. Seine Wurzeln liegen in der Literaturwissenschaft. Als filmisches Genre erreichte es seinen Zenit in den USA der 30er-50er Jahre. In Deutschland wurde das Melodrama von Regisseuren des Neuen Deutschen Films der 60er/70er Jahre wieder entdeckt. Der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder war besonders von den amerikanischen Filmen der 50er Jahre von Douglas Sirks beeindruckt. In ihnen fand er eine eigene Filmsprache und Aussage.   

Die vorliegende Arbeit hat das Melodrama „Angst essen Seele auf“ des deutschen Filmemachers Rainer Werner Fassbinders zum Gegenstand. Fassbinders  Schaffensperiode reichte von 1969-1981. In dieser Zeit distanzierten sich eine Reihe junger deutscher Filmemacher vom alten deutschen Film. Der deutsche Autorenfilm wurde geboren. Rainer Werner Fassbinder ist einer seiner bekanntesten Vertreter. Auch er sagte sich los von „Papas Kino“(so bezeichneten die jungen Filmemacher den deutschen Film der Nachkriegszeit). Dennoch ließ er sich nicht in die Riege der Regisseure, die 1962 das Oberhausener Manifest unterzeichnet haben, einreihen. Sein Blick schweifte nach Hollywood. Fassbinder war ein großer Verehrer von Douglas Sirk, einem nach Hollywood emigrierten Deutschen, der v.a. in den 50er/60er Jahren mit seinen Melodramen wie „All meine Sehnsucht“ (1953) oder „In den Wind geschrieben“ (1957) bekannt wurde. Sirks Liebe zu seinen Figuren sowie die Aussagekraft des Melodramas faszinierten Fassbinder dermaßen, dass er in den 70er Jahren einige  Melodramen drehte. 1973 realisierte er ein Remake von Sirks Film „Was der Himmel erlaubt“ von 1955. Für sein Werk „Angst essen Seele auf“ erhielt er international hohe Anerkennung.  

In dieser Arbeit wird der Unterschied zwischen Genre- und Autorenfilmen behandelt. Wie kann ein Autor einen Genrefilm drehen? Welche Merkmale machen „Angst essen Seele auf“ zu einem Melodrama? Ist der Film ein Genre- oder ein Autorenfilm? Diese Fragen werden anhand des Films im zweiten Teil der Arbeit untersucht. Zunächst wird im ersten Teil die Begriffsdefinition von Genre und Autor vorgenommen. Außerdem werden das Genre Melodrama und der Autorenfilm in Deutschland, sowie der Regisseur R.W. Fassbinder näher vorgestellt. Nach der Analyse des Films im zweiten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse ausgewertet. Eine Zusammenfassung resümiert die wichtigsten Erkenntnisse und schließt die Arbeit ab.

 

1. Genre vs Autor – ein Definitionsversuch

1.1 Genre

        1.1.1 Genre

Das Bilden von Kategorien erleichtert den Menschen den Alltag. Es reduziert die Komplexität mit der sie tagtäglich konfrontiert sind. Man findet diese Art der Systematisierung in allen Bereichen des Lebens. Die Einteilung von Filmen in bestimmte Gattungen und Genres, dient ebenfalls zur Orientierung. Aus Reclams Sachlexikon für Film geht hervor, dass Genres unter bestimmte Rubriken fallen, die Filmgattungen. Bekannte Filmgattungen sind z.B. Spielfilm, Dokumentarfilm, Animationsfilm, Lehr- oder Werbefilm. Die Einteilung von Filmen zu bestimmten Genres wird an der Übereinstimmung  bestimmter Merkmale festgemacht.

„Unter Genres versteht die Filmwissenschaft Gruppen von Spielfilmen. Der Name des Genres hebt jeweils ein Gruppierungsmerkmal hervor, wobei diese Merkmale auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen angesiedelt sein können und etwa thematische (Abenteuerfilm, Kathastrophenfilm), kulturelle, zeitliche und topographische Momente (Western, Roadmovie, Gefängnisfilm, Gerichtsfilm) Figurenkonstellationen (Gangsterfilm, Samuraifilm), die Rolle der Musik (Musical-, Revuefilm, Filmoperette), oder auch dramaturgisch-psychologische Effekte (Thriller, Horrorfilm, Melodrama, Komödie, Slapstick) in den Vordergrund stellen.“

Die Einteilung in Genres birgt jedoch einige Schwierigkeiten. Der Genrebegriff kann nicht verabsolitiert werden. So ist dem Reclam Sachlexikon des Films gleich zu Beginn zu entnehmen, dass es unmöglich ist eine endgültige Definition für „Genre“ vorzunehmen. „Weil die Merkmale kombinierbar sind (Genre Mix) und Genres geschichtlichem Wandel unterliegen, hat sich das gesamte Ensemble der Gruppierungskennzeichen einer übergreifenden Systematik bisher entzogen.“

Andrew Tudor sieht den Gebrauch und die Bedeutung des Genrebegriffs ebenfalls sehr mannigfaltig. Zudem grenzt er ihn klar vom Begriff des auteur ab. Während die Herkunft des Genrebegriffs in der Literaturwissenschaft zu suchen ist, hat der Begriff des auteur seine Wurzeln in der Filmkritik und ist demzufolge ein jüngerer Begriff. Tudor sieht das Einteilen von Filmen in Genres als System zur Orientierung für Zuschauer und Kritiker. 

Gehört ein Film zu einem bestimmten Genre, so steht er in einer “bestimmten Tradition“. Er weist dann eine bestimmte Anzahl von Konventionen auf. Filme eines bestimmten Genres teilen bestimmte Themen (themes), bestimmte typische Handlungen (actions), bestimmte charakteristische Eigenarten. Manche Filme lassen sich weniger anhand von Attributen sondern eher anhand ihrer Intentionen einem bestimmten Genre zuordnen. Tudor sieht in der Bestimmung eines bestimmten Genres ein Dilemma, mit dem diejenigen zu kämpfen haben, die diesen Ausdruck benutzen wollen:

„ ...writers, and almost all writers using the term genre, are caught in a dilemma. They are defining a western on the basis of analyzing a body of films that cannot possibly be said to be western until after the analysis.“   

Um diesem Dilemma zu entgehen, müssen sich die Kritiker und Zuschauer auf die gemeinsame kulturelle Übereinstimmung verlassen, die es über ein bestimmtes Genre gibt und Filme von diesem Punkt aus analysieren. Tudor meint aber auch, dass Kritiker im Gegensatz zu anderen nicht nur formale Kriterien in ihre Betrachtung einbeziehen. Sie sehen ebenfalls die jeweilige Kultur in dem der Film konsumiert wird. Sogar bestimmte Gruppen können abweichende Vorstellungen davon haben, was ein bestimmtes Genre ausmacht. Zudem kommt die Weiterentwicklung der Gesellschaft, die eine Fortbildung von Konventionen mit sich bringt hinzu. D.h. Genres entwickeln sich, genau wie die Gesellschaft, weiter.

Die Herausbildung von Genres geschah in den USA der Nachkriegszeit, als sich das Fernsehen  zunehmend verbreitete und die Zuschauerzahlen in den Kinos drastisch zurückging. Die Filmindustrie wollte einen Anreiz schaffen, um die Zahl der Kinobesuche wieder ansteigen zu lassen. Die sogenannten B-Filme entstanden. Diese Filme wurden sehr preiswert produziert und waren von geringer Qualität. Sie wurden in Verbindung mit dem Kauf einer Kinokarte angeboten. Da diese Filme mit völlig unbekannten Schauspielern gedreht wurden und auch sonst keinerlei Publikumsmagneten darstellten, dienten sie als Zugabe zum A-Film. Sie wurden in bestimmte Kategorien eingeteilt. Auf diese Art entstanden der Western, die Komödie, das Melodrama und andere Filmgenres, die sich im Lauf der Zeit immer weiter ausdifferenzierten und Subgenres hervorbrachten.

 

1.1.2 Das Melodrama

Nach Ursula Vossen ist der Grundbaustein der melodramatischen Handlung die Liebesgeschichte. Meist steht eine Frau im Mittelpunkt der Handlung. Aus ihrer Perspektive erfahren die Zuschauer auch das Geschehen. Außerdem besteht ein Melodrama aus Handlungsgerüsten die bis zu sechs Grundmotive annehmen können. Sie sind vielfältig kombinierbar und variierbar:

  1. Es wird eine Dreiecksgeschichte beschrieben.
  2. Es wird eine außerordentliche berufliche Karriere oder ein sozialer Aufstieg beschrieben.
  3. Der Protagonist muss eine große Prüfung/Krise bewältigen und es besteht die Gefahr, dass er/ sie versagt
  4. Es handelt sich um eine problematische Mutter-Kind-Beziehung (oft unehelich)
  5. Die böse Frau treibt ihr Unwesen. Hier verschwimmen die Grenzen zum Thriller und Film Noir
  6. Es handelt sich um eine mehrere Generationen überspannende Familiensaga 

Bei der Analyse wird das Handlungsgerüst von „Angst essen Seele auf“ auf diese sechs Grundmotive hin überprüft. Stimmt ein oder mehrere Handlungsgerüst(e) mit diesem Paradigma überein, so hat der Film auf narrativer Ebene melodramatische Züge.

Laut Ursula Vossen sind die gestalterische Mittel des Melodramas nicht unverwechselbar und prägend, dass man von einer eigenen Filmsprache reden kann. Dennoch gibt sie drei typische Gestaltungsmerkmale an. Die Großaufnahme wird oft in Melodramen verwendet um Gefühle und seelische Vorgänge offensichtlich zu machen. Die Bildkomposition ist häufig auf unterschwellige Botschaften hin angelegt. Es werden z.B. bestimmte Liebes- oder Hassbeziehungen zwischen Personen durch die mise-en-scène zum Ausdruck gebracht. Insgesamt arbeitet das Melodrama stark metaphorisch. Dramatische Konflikte spiegeln sich im Dekor. Psychologische Vorgänge werden in der mise-en-scène umgesetzt. Die bildliche Komposition symbolisiert das emotionale Ungleichgewicht der Figuren. Außerdem kommt die Filmmusik im Melodrama besonders stark zum Einsatz. Sie ruft beabsichtigte Gefühlswirkung beim Zuschauer hervor und verstärkt sie in entscheidenden Momenten. Bei der Analyse soll herausgefunden werden, ob der Einsatz dieser drei gestalterischen Elemente im Film nachzuweisen ist und welche Wirkung sie haben.  

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1.2 Der Autorenbegriff

        1.2.1 Autor

In der Autortheorie steht der Regisseur mit seinem künstlerischen Anliegen im Mittelpunkt. Der Regisseur wird als wichtigster Produktionsfaktor im Entstehungsprozess des Films gesehen, da er zugleich Autor und Produzent ist. Stammt das Drehbuch nicht aus der Feder des Regisseurs, tritt es hinter der ganz eigenen Sicht auf die Dinge zurück, hinter der Art und Weise wie der Regisseur den Stoff umsetzt. Der Begriff bezeichnet vor allem eine Gruppe französischer Filmkritiker der 50er Jahre, die in autonom entstandenen Filmen genauso wie in Hollywoodstreifen die Handschrift des Filmemachers entdeckten. Den Kritikern kam es auf eine ...

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