Ruschmeyer, Nino

Katende 13

21423 Winsen / Luhe

5. Semester

Matrikelnr. 5435858

Strafrecht V

WISE 2003/2004

„Großer Schein StrafR“

02.115

Prof. Dr. Uwe Hansen

2. Hausarbeit


Sachverhalt

Ein Verkehrsunfall. Auf einer geraden Ausfallstraße mit jeweils drei Fahrspuren. Infolge einer kurzen Unaufmerksamkeit gerät der in der mittleren Spur der einen Fahrtrichtung fahrende Anton Albers mit seinem Pkw, in dem seine Freunde Bert Brandt und Carsten Curio mitfahren, kurzfristig auf die linke Fahrspur und kollidiert leicht mit dem dort gerade neben ihm befindlichen Pkw des Josef Jessen. An beiden Fahrzeugen entsteht Blechschaden in Höhe von jeweils 1000,-  €   (leichte Beulen und Lackschäden an den Seitenfronten der beiden Fahrzeuge). Anton Albers weiß dass er infolge seines plötzlichen und unmotivierten Spurwechsels den Unfall verschuldet hat, stellt sich jedoch bei dem anschließenden Gespräch mit Josef Jessen auf den Standpunkt, Josef Jessen habe die Fahrspur gewechselt und sei ihm, dem Anton Albers, in die Seite gefahren. Man tauscht Namen und Anschriften aus.  

Bei der Weiterfahrt redet Anton Albers auf Bert Brandt und Carsten Curio ein: Es sei doch völlig klar, dass Josef Jessen ihm in die Spur gefahren sei und somit den Unfall allein verschuldet habe; das könnten Bert Brandt und Carsten Curio doch auch gegenüber der Versicherung des Josef Jessen und notfalls vor Gericht als Zeugen bestätigen. Dabei nimmt Anton Albers an, dass Bert Brandt, selbst ein tüchtiger Autofahrer, sehr wohl bemerkt habe, wie der Unfall sich tatsächlich abgespielt hat, während er meint, dass Carsten Curio – ein etwas müder Typ – den Geschehensablauf gar nicht recht mitbekommen habe. Tatsächlich hatte Carsten Curio die Situation sehr wohl erfasst; er durchschaut den Anton Albers, schweigt jedoch. Bert Brandt hingegen hatte den Unfallhergang nicht mitbekommen, meint nun jedoch, sich genau zu erinnern, das Geschehen so wahrgenommen zu haben, wie es Anton Albers schildert.

Anton Albers meldet bei der Kfz-Haftpflichtversicherung des Josef Jessen Schadensersatzansprüche in Höhe von 1000,- € an und benennt Bert Brandt und Carsten Curio ais Unfallzeugen. Beide geben die von Anton Albers gewünschte Sachverhaltsschilderung ab. Da Josef Jessen seiner Versicherung Zahlungsverbot erteilt, erhebt Anton Albers gegen Josef Jessen und seine Versicherung als Gesamtschuldner Schadensersatzklage und benennt Bert Brandt und Carsten Curio als Zeugen, die in der Beweisaufnahme aussagen, Josef Jessen habe plötzlich die Fahrspur gewechselt und sei dem Anton Albers in die Seite gefahren. Sie bleiben unvereidigt. Das Amtsgericht verurteilt auf diese Zeugenaus- sagen hin Josef Jessen und die Versicherung als Gesamtschuldner zur Zahlung an Anton Albers.

Die Strafbarkeit von Anton Albers, Bert Brandt und Carsten Curio ist zu prüfen.

Zusatzfrage:  Kommen die Sanktionen des   §   44 StGB und / oder § 69 StGB hier in Betracht?  

Literaturverzeichnis

Arzt / Weber: Strafrecht Besonderer Teil, Ein Lehrbuch in fünf Heften,

LH5, Bielefeld 1982, zitiert: A/W-LH5-Bearbeiter

Beling, Ernst: Die Lehre vom Verbrechen, Tübingen 1906.

Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann: Zivilprozessordnung, 52. Auflage, München 1994, zitiert: ZPO-Bearbeiter.

Cramer, Peter: Straßenverkehrsrecht: Kommentar, 2. Auflage, München 1977.

Fahl, Christian: Prozessbetrug und „Lagertheorie“, Jura 1996, S. 74ff.

Haarmann, Alfred: Der Fahrstreifenwechsel, DAR 85, S.139ff.

Hentschel, Peter: Straßenverkehrsrecht: Kommentar, 36. Auflage, München 2001.

Koch, Hans-Jörg: Das Tatbestandsmerkmal „rücksichtslos“ des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB in der Praxis, DAR 1970, S. 322ff

Krey, Volker: Strafrecht. Studienbuch in systematisch-induktiver Darstellung, Bd.1, Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte 12. Auflage, Stuttgart 2002, zitiert: Krey, BT I

und Bd.2: Vermögensdelikte, 9. Auflage, Stuttgart 1993, zitiert: Krey, BT II.

Kühl, Kristian: Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Auflage, München 2000.

Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, Großkommentar,

Band 1, 11. Auflage, hrsg. von Jähnke, Laufhütte und Odersky, Berlin 2003,

Band 2, 11. Auflage, hrsg. von Jähnke, Laufhütte und Odersky, Berlin 2003,

Band 2, 10. Auflage, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms, Berlin/New York 1985

Band 3, 10. Auflage, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms, Berlin/New York 1985,

Band 4, 10. Auflage, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms, Berlin/New York 1988

Band 6, 10. Auflage, hrsg. von Jescheck, Ruß und Willms, Berlin/New York 1988

zitiert: LK-Bearbeiter.

Maurach / Schroeder / Maiwald: Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 8. Aufl., Heidelberg 1995, zitiert: MauSchMai.

Otto, Harro: Grundkurs Strafrecht. Die einzelnen Delikte, 6. Aufl., Berlin/New York 2002.

Puppe, Ingeborg: Der objektive Tatbestand der Anstiftung, GA 84, S. 101ff.

Schmidhäuser, Eberhard: Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, Tübingen 1984, zitiert: Schmidhäuser AT.

Schönke / Schröder: Strafgesetzbuch,. Kommentar, 25. Aufl., München 1997, zitiert: Sch/Sch-Bearbeiter.

Spöhr / Karst: Zum Begriff der Rücksichtslosigkeit im Tatbestand des §315 StGB, NZV 1993, S. 254ff.

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (Losebl.), Band 2, Besonderer Teil, 7. Auflage, Stand Okt. 1999, hrsg. von Rudolphi, Horn, Günther, Hoyer und Samson, zitiert: SK-Bearbeiter

Tröndle / Fischer: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 50. Auflage, München 2001.

Wessels / Beulke: Strafrecht Allgemeiner Teil, Die Straftat und ihr Aufbau, 32. Auflage, Heidelberg 2002.

Wessels / Hillenkamp: Strafrecht Besonderer Teil/2, Straftaten gegen Vermögenswerte, 23 Auflage, Heidelberg, 2000.


Inhaltsverzeichnis

I.        Strafbarkeit des Anton Albers (A)        

1.        § 315c I, Nr. 2a, 2b, 2e StGB        

a) Tatbestandsmäßigkeit        

aa) objektiver Tatbestand        

i.        Vorfahrt nicht beachtet        

ii.        Falsches Verhalten beim Überholvorgang        

aaa) Überholvorgang        

bbb) Fehlverhalten        

iii. Verletzung des Rechtsfahrgebotes an unübersichtlicher Stelle        

iv. grob verkehrswidrig        

v. Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert        

vi. Zurechnungszusammenhang        

bb) subjektiver Tatbestand        

2. § 315c III Nr. 2 i.V.m. § 315c I, Nr. 2b        

a) Tatbestandsmäßigkeit        

aa) Tatbestandserfolg        

bb) objektive Sorgfaltspflichtverletzung        

cc) objektive Zurechnung        

b) Rechtswidrigkeit        

c) Schuld        

aa) Entschuldigungstatbestände        

bb) Spezielles Schuldmerkmal der Rücksichtslosigkeit        

i. Indikation durch die grobe Verkehrswidrigkeit        

ii. Tatbestandsmerkmal „Rücksichtslosigkeit“ in der Rechtsprechung        

iii. keine Rücksichtslosigkeit bei A        

3. _        § 315b IV i.V.m. § 315b I Nr. 3        

II. Ergebnis        

B. AUSSAGEDELIKTE        

I. Strafbarkeit des B gem. § 153        

1. Tatbestand        

a) objektiver Tatbestand        

aa) objektive Aussagetheorie        

bb) subjektive Aussagetheorie        

cc) Pflichttheorie        

dd) Stellungnahme        

b) subjektiver Tatbestand        

2. Ergebnis        

II. Strafbarkeit des C gem. § 153        

1. Tatbestand        

2. Ergebnis        

III. Strafbarkeit des A        

1. § 153        

2. §§ 154, 26, 30 I        

0. Vorprüfung        

aa) keine erfolgreiche Anstiftung        

bb) Verbrechenscharakter der Tat        

a) Tatentschluss        

aa) bezüglich der falschen Aussage durch B        

bb) bezüglich der falschen Aussage durch C        

cc) bezüglich einer Eidesleistung        

b) Ergebnis        

3. §§ 153, 159, 30 I        

a) Tatentschluss        

b) Anfang der Ausführung        

c) Ergebnis        

4. § 160        

a) Tatbestand        

aa) Rechtsprechung des BGH        

bb) Lehrmeinung        

cc) Stellungnahme        

b) Ergebnis: § 160 II        

5. Konkurrenzen        

C. _        STRAFTATEN GEGEN DAS VERMÖGEN / EIGENTUM        

I. Strafbarkeit des A        

1. § 263 I        

a) objektiver Tatbestand        

aa) Täuschungshandlung        

i. Klagerhebung        

ii. durch Benennen der Zeugen        

iii. in mittelbarer Täterschaft        

bb) Irrtum des Getäuschten        

cc) Vermögensverfügung        

i. Lagertheorie        

ii. Näheverhältnis        

iii. Befugnis oder Ermächtigungstheorie        

iv. Stellungnahme        

dd) Vermögensschaden        

i. Juristischer Vermögensbegriff        

ii. Wirtschaftlicher Vermögensbegriff        

iii. Vermittelnder juristisch ökonomischer Vermögensbegriff        

iv. Personaler Vermögensbegriff        

v. Wertung        

vi. unmittelbare Folge        

b) subjektiver Tatbestand        

aa) Vorsatz        

bb) Absicht der rechtswidrigen Bereicherung        

c) Rechtswidrigkeit und Schuld        

2. § 263 I, 25 I 2. Alt.        

3. § 263 II, 22 an V        

0. Vorprüfung        

a) Tatentschluss        

aa) Täuschung und Irrtum        

bb) Vermögensverfügung und Schaden        

b) Ansetzen zur Tathandlung        

c) Rechtswidrigkeit und Schuld        

II. Strafbarkeit des C        

1. § 263 I, 25 II        

a) objektiver Tatbestand        

aa) Gemeinsamer Tatplan        

bb) Handlungsbeitrag        

i. formal objektive Theorie        

ii. subjektive Theorie        

iii. Ganzheitstheorie        

iv. Tatherrschaftslehre        

v. Wertung        

b) subjektiver Tatbestand        

2. § 263 II, 22, 25 II an V        

   


  1. Verkehrsdelikte
  1. Strafbarkeit des Anton Albers (A)
  1. § 315c I, Nr. 2a, 2b, 2e StGB

A könnte sich mit seinem plötzlichen Spurwechsel einer Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c I, Nr. 2a, 2b und / oder 2e schuldig gemacht haben. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass A überhaupt gehandelt hat. Der Sachverhalt drückt sich passiv aus, A sei auf die mittlere Spur geraten. Dies setzt jedoch ein Lenkmanöver des A als sozialbedeutsames Verhalten voraus, so dass davon ausgegangen werden muss, dass A gehandelt hat.

a) Tatbestandsmäßigkeit 

Um den Tatbestand einer der o.a. Alternativen des 315c zu erfüllen dürfte A als Fahrzeugführer vorsätzlich in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise die Vorfahrt nicht beachtet oder an einer unübersichtlichen Stelle das Rechtsfahrgebot nicht eingehalten, bzw. müsste falsch überholt oder sich bei einem Überholvorgang falsch verhalten haben. Dabei müsste er Leib und Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet haben.

aa) objektiver Tatbestand

  1. Vorfahrt nicht beachtet

In Frage kommt die Verletzung eines Vorfahrtsrechtes des Josef Jessen (J) durch den Spurwechsel des A. Der Begriff der Vorfahrt im Sinne des § 315c I ist so auszulegen, so dass ein  Vorfahrtsfall nach dieser Norm immer dann anzunehmen ist, wenn die Fahrlinien zweier Fahrzeuge bei unveränderter Fahrweise zusammentreffen oder sich gefährlich nahe kommen. 

A geriet nur kurzfristig auf die linke Fahrspur; grundsätzlich waren die Fahrlinien der beiden Fahrzeuge also parallel zueinander. Zu dem Zusammenprall der beiden Fahrzeuge kam es gerade weil A seine Fahrweise dergestalt veränderte, dass sich erst durch die unvermittelte Richtungsänderung die beiden Fahrzeuge treffen konnten. Es handelte sich dabei also nicht um die Verletzung eines Vorfahrtsrechtes von J.

  1. Falsches Verhalten beim Überholvorgang

A könnte sich aber gem. §315c Nr. 2b bei einem Überholvorgang falsch verhalten haben.  Die Vorschrift erfasst ein Fehlverhalten sowohl des Überholenden, wie auch des Überholten. 

aaa) Überholvorgang

Folglich ist es fraglich, ob A aktiv oder passiv an einem Überholvorgang beteiligt war. Für das Überholen ist kennzeichnend, dass ein Verkehrsteilnehmer an einem Anderen, der sich in derselben Richtung bewegt, vorbeifährt. A fuhr auf der mittleren Spur der Ausfallstraße und befand sich neben dem Fahrzeug des J, bevor sich der Unfall ereignete. Auch wenn nicht expressis verbis gesagt wird, dass A die mittlere Fahrspur befuhr, um an anderen Fahrzeugen rechts von ihm vorbeizufahren bzw. dass J links an ihm vorbeifuhr, spricht bei Auslegung des Sachverhaltes nach der allgemeinen Lebenserfahrung doch alles dafür. Es ist der Normalfall des nebeneinander Fahrens von Kraftfahrzeugen bei mehreren Fahrspuren, geregelt in § 7 StVO, dass auf verschiedenen Fahrspuren unterschiedliche Geschwindigkeiten entwickelt werden, so dass es de facto ständig zu Überholvorgängen kommt.  Hinzu kommt, dass A gemäß § 7 I StVO nur von dem Rechtsfahrgebot des §2 II StVO abweichen durfte, wenn die Verkehrsdichte es gerechtfertigt hat. Dies spricht wiederum dafür, dass A zum Zeitpunkt des Unfalls gerade an Fahrzeugen auf der rechten Spur vorbeifuhr. Eine Ausnahmesituation, in der die Fahrzeuge auf allen drei Spuren mit exakt der gleichen Geschwindigkeit fahren und kein Überholvorgang stattfindet, erscheint unrealistisch. Das in §7 StVO geregelte nebeneinander Fahren schließt insgesamt also ein Überholen in keinem Falle aus, kann im konkreten Fall folglich als ein Unterfall des Überholens gem. § 5 StVO gelten. A ist also zum Zeitpunkt des Unfalls in der ein- oder anderen Form an einem Überholvorgang beteiligt gewesen.

Join now!

bbb) Fehlverhalten

Gemäß § 7 V StVO hätte A den Fahrstreifen nur wechseln dürfen, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen wäre, was hier nicht der Fall war, wie der Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des J belegt. Ferner hätte er den Fahrstreifen nur nach vorheriger Ankündigung wechseln dürfen. Dass er auf die linke Fahrspur geriet stellt objektiv eine Verletzung dieser Pflichten, mithin ein Fehlverhalten dar. Auch wenn ein Fehlverhalten beim nebeneinander Fahren als solches nicht im Katalog des 315c zu finden ist, fand es im konkreten Falle doch während eines Überholvorganges statt. A hat sich also bei einem Überholvorgang falsch verhalten.

...

This is a preview of the whole essay