An Hand von Beispielen will ich nun die vermeintlichen Vor- und Nachteile erörtern. Man muss jedoch bedenken, dass dies problematisch sein kann, weil sie subjektiv sind und man eher sagen könnte, dass das ein oder andere System bestimmte Folgen hat oder durch es bestimmte Bedingungen geschaffen werden.
Persönlichkeitsorientiert (Bsp.: USA, GB): wie gesagt, 2 grosse, aber lockere Parteiverbände (USA: republicans und democrats / GP: Conservative und Labor Party + kleinere), Parteien werden in den US-Verfassung zum Beispiel nicht einmal erwähnt, Parteien sind vielmehr Mittel zur Rekrutierung von Personal und zur Organisation und Durchführung von Wahlen. Kandidaten organisieren und finanzieren den größten Teil ihres eigenen Wahlkampfs, teilweise sogar gegen Kandidaten der eigenen Partei (primaries in den USA). Sie werden in einem bestimmten Wahlbezirk von der relativen Mehrheit direkt gewählt (GB: „first past the pole“).
++: starke Unabhängigkeit der Kandidaten im Hinblick auf ihr eigenes Wahlprogramm. Ein einzelner Politiker mit großartigen, unorthodoxen Ideen kann sich alleine durchsetzen -> dynamischerer politischer Prozess, weil Vielfalt der Abgeordneten/Ideen/Meinungen. Größere Abhängigkeit vom persönlichen Wahlbezirk -> direktere, basisdemokratischere Vertretung der Interessen, die vor allem in großen/heterogenen politischen System von Vorteil sein kann. Denn es gibt eine bessere direkte Kontrolle der Wähler über den Gewählten. Bei Nicht-Gefallen kann eine konkrete Person abgewählt werden. Nur 2 Parteien -> Mehrheitswahlrecht führt meist zu klaren parlamentarischen Mehrheiten (US: democrats oder republicans). Dies erlaubt reibungslosere Regierungsarbeit.
--: (normalerweise nur 2 große Parteien) kleinere Parteien mit besonderem Schwerpunkt haben es schwer (GreenParty in den USA), die Stimmen der Wähler von kleineren Parteien gehen auf nationaler Ebene verloren. In England: Liberal Democrats in der Wahl 2001: Stimmenanteil 18%, Sitzanteil <8%, oder auch Grüne, die nach Umfragen ca. 10% erhalten würden, fallen völlig unter den Tisch -> erfahrungsgemäß eine geringere Wahlbeteiligung in Ländern mit Mehrheitswahlsystem), Abgeordneten sind im Falle der relativen Mehrheit manchmal nicht repräsentativ (= weniger als 50%) für ihren Wahlkreis. Da Parteien nur einen lockeren Bund darstellen fehlt es manchmal an Parteidisziplin. System tendiert zu einer einflussreichen Lobby, die direkt auf einzelen Kandidaten einwirken kann -> Abhängigkeit vom Geld(geber)=Wirtschaft (Bush 2000: 100$ mio. funds).
Parteienorientiert: die meisten europäischen Staaten:
Meist nationale Parteien erarbeiten ein politisches Programm und treten landesweit zur Wahl an, erhalten Sitze im Parlament im Verhältnis zum Anteil der Stimmen. Diese Sitze werden meist nach, vor der Wahl aufgestellten Listen, vergeben werden
Sonderfall Deutschland: Verhältniswahlrecht und Personenwahl gekoppelt, aber überwiegt Mach der Parteien. Parteien sogar von der Verfassung geschützt, so heißt es direkt in Artikel 21GG „die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“. Es gibt andere Besonderheiten (wie kumulieren und panaschieren); daneben starke regional begrenzte Parteien (wie die Baskenpartei in Spanien oder CSU in Bayern)
++: Auf nationaler Ebene wird ein breiteres Spektrum an Interessen vertreten (mehr Parteien), wie zum Beispiel auch Spezialinteressen (Grüne, Kommunisten, FDP, etc.). Ebenso entsteht eine Förderung von Konsenslösungen (Notwendigkeit der Koalition).
Möglichkeit der Listen-Wahl erlaubt die Wahl von Experten, die für einen persönlichkeitsorientierten Wahlkampf ungeeignet wären, aber für die Partei im Parlament wichtig sind (Bsp. der Gentechnik Experte mit der krummen Nase). Fairness-Argument: Jede Partei bekommt Sitzplätze in genauen Verhältnis zu den erhaltenen Stimmen.
--: Nicht immer eindeutige parlamentarische Mehrheiten -> Notwenigkeit zur Koalition -> Verwässerung der Programme und Politik, die eigentlich kein Wähler gewollt hat. Konsens bringt oft halbgare Lösungen einher, die Verschwendung von Resourcen zur Folge hat, da sie sich nicht auf eine, wesentliche Sache konzentriert. Also treten Zielkonflikte und Koordinationsprobleme von Koalitionsregierungen auf. Kleinere Parteien können mit nur 5-10% Stimmenanteil Regierungsverantwortung bekommen. Keine eindeutige Kontrolle der Regierung möglich, weil keine eindeutige Abwahl einer Regierungspartei. Keine volle Verantwortlichkeit, gegenseitige Schuldzuweisung -> weniger innerparteiliche Reformen (im Ggs. dazu Tony Blair & new labor). Es ist schwer für den unzufriedenen Wähler auf ein vages Detail im Parteiprogramm Einfluss zu nehmen. „Art. 38GG an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Fraktionsdisziplin wird of zum Zwang (weil sonst keine Aufstellung zur Wahl oder Parteiausschluss) -> stellt das „freie Mandats“ in Frage.
Erläuterungen:
Die genannten Nach- bzw. Vorteile haben Schattierungen, z.B. Vielfältigkeit der vertretenen Interessen wird kompensiert auf unterschiedliche Weies: in einem Fall (USA) durch unabhängigere Kandidaten, im anderen wie Fall Europa durch die größere Zahl unterschiedlicherer Parteien.
Politik ist nicht statisch, sondern auch politische Systeme entwickeln sich weiter, um den Anforderungen der Zeit und der sich weiterentwickelnden Gesellschaft gerecht zu werden: zunehmend komplexere Sachverhalte -> Delegation von Inhalten an Expertenkommissionen. Es scheint als gäbe es immer mehr eine Wahl von Handlungs-Kompetenzen und eine Konzentration auf das Spitzenpersonal. In Deutschland zum Beispiel wird die Bundestagswahl immer mehr zur Kanzlerwahl, obwohl dieser ja überhaupt nicht direkt vom Volk gewählt wird. Wenn man das tagespolitische Geschehen vor der Wahl verfolgt, entsteht jedoch regelrecht dieser Eindruck (Kandidat der FDP diente der Profilierung der Partei, Kanzlerdebatte/Fernseh-Duell wie in den USA)
Es sieht nach einer Amerikanisierung, nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Politik aus.
Frage: Ist dies eine vorübergehende Erscheinung und überwiegen kulturelle und geschichtliche Differenzen oder ist das Mehrheitswahl der Verhältniswahl im Endeffekt doch überlegen?
Nichts ist gefährlicher als der Einfluss der Privatinteressen in die öffentlichen Angelegenheiten.
Jean-Jacques Rousseau
Wenn man eine politische Partei nicht besiegen kann, muß man ihr beitreten.
Bob Hope (*1903)