Aller Anfang ist schwer

1. Szene 

Personen:
Irina, Frau und Herr Özük

Bühnenbild:
Im Wohnzimmer, Radiomusik und das Klappern von Geschirr ist zu hören.


Irina:
Nein, ich will dieses Kopftuch nicht tragen, nicht am ersten Tag in der neuen Schule!

Herr Özük (streng):
Du tust, was ich dir sage.

Frau Özük (beschwichtigend):
Vater hat Recht, Irina. Kümmere dich nicht darum, was die Leute reden.

Irina (trotzig):
Das sagst du so leicht. Du solltest einmal in meiner Haut stecken!

Frau Özük:
Du vergisst wohl ganz, dass es mir nicht anders geht, seit wir von unserer alten Heimat weggegangen sind.

Herr Özük (zu Irina):
Und dir gefällt es schließlich hier, das hast du mir schon einmal anvertraut.

Irina:
Ja, das ist schon richtig. Ich bin hier geboren, aufgewachsen und fühle mich hier zu Hause. Aber gerade deshalb will ich das Kopftuch nicht mehr tragen.

Herr Özük:
Irina, das führt zu nichts. Du behältst das Tuch auf. Sollen die andern doch denken, was sie wollen. Hör einfach nicht hin!

Frau Özük:
Wenn einer nicht dein Freund oder deine Freundin sein will, bloß weil du heute ein Kopftuch trägst, kann es mit der Freundschaft nicht sehr weit her sein.

Irina:
Ihr habt Recht. Aber leicht ist das heute nicht für mich.

Herr Özük (nachdenklich):
Leicht ist es nie, wenn man in einem fremden Ort neu beginnt.

Licht aus.


2. Szene

Personen:
Irina, Herr Bittel, Frau Knurr

Bühnenbild:
Vor dem Hauseingang des Wohnhauses. Herr Bittel und Frau Knurr unterhalten sich, Irina kommt vorbei.


Irina (freundlich):
Guten Tag!

Herr Bittel (freundlich):
Guten Morgen, Irina.

Frau Knurr (schaut Irina kurz an, unfreundlich):
Tag! (dann zu Herrn Bittel:) Na, wenigstens grüßen kann sie. Irgendwie ist es aber doch schade, dass unsere schöne Gegend immer mehr verkommt.

Herr Bittel:
Wie kommen Sie denn nun darauf, Frau Knurr?

Frau Knurr (bissig):
Diese Ausländer! Merken Sie denn nicht, dass die immer mehr werden. Eines Tages wirft man uns noch aus unserer Wohnung, nur damit das Gesindel Platz hat.

Herr Bittel (beschwichtigend):
Aber Frau Knurr, ich bitte Sie! So schlimm ist es doch gar nicht. Die Özüks sind sehr freundliche Leute.

Frau Knurr (abwehrend):
Alle Leute sind freundlich, wenn sie etwas wollen. Und die Fremden wollen alle etwas von uns: unsere Arbeitsplätze, die Sozialeinrichtungen, Platz in den Schulen und Kindergärten, billige Wohnungen und was weiß ich noch alles.

Herr Bittel:
Dafür arbeiten sie aber auch. Die Özüks zum Beispiel sind im Krankenhaus beschäftigt. Das kommt doch allen zugute, auch Ihnen, wenn Sie einmal krank sind.

Frau Knurr (erregt):
Um Himmels Willen, hören Sie bloß damit auf! Wenn eine wie die Özük als Schwester in mein Zimmer käme, ließe ich mir von ihr nicht einmal das Fieberthermometer geben. Aber wahrscheinlich ist sie ohnehin nur zum Putzen dort. Und er ist vermutlich Handwerker, der seine Arbeit mehr schlecht als recht verrichtet. Dabei lacht er sich ins Fäustchen, dass unser Staat so viel für ihn und seine Familie tut.

Herr Bittel:
Aber, aber!

Frau Knurr (empört):
Außerdem wollen sie auch das Kindergeld in Anspruch nehmen! Ich ließe keinen Ausländer mehr über die Grenze, wenn ich etwas zu sagen hätte!

Herr Bittel (zum Publikum):
Vielleicht ist es gut, dass sie nichts zu sagen hat.

Frau Knurr:
Was haben Sie gesagt? Ich habe Sie nicht verstanden.

Herr Bittel:
War nicht so wichtig.
Licht aus.


3. Szene

Personen:
Irina, Schüler, Frau Rosner, die Lehrerin

Bühnenbild:
Auf der Straße vor der Schule. Mehrere Kinder stehen umher und schauen Irina, die kommt, erwartungsvoll an.


Klaus (spöttisch):
Aha, das ist also die Neue. Und aus dem Ausland, wie erfreulich!

Herbert:
Jetzt ist unsere Glückssträhne wohl vorbei. Bisher sind alle Ausländerkinder in die Parallelklasse gekommen, aber die scheint nun voll zu sein.

Join now!

Sabine:
Und ein Kopftuch hat sie auf! Wieder so eine religiöse Narrheit.

Teresa:
Wieso?

Sabine:
Das hat uns doch der Religionslehrer erklärt. Die Moslemfrauen und die Mädchen müssen Kopftücher tragen, weil ihre Religion es vorschreibt.

Peter (spöttisch):
Ach, unsere Streberin! Du willst dich wohl mit ihr anfreunden, damit du der Lehrerin imponieren kannst.

Günter (beschwichtigt):
Gebt Frieden und wartet ab, vielleicht ist sie gar nicht so übel. Erst müssen wir einmal hören, ob sie überhaupt deutsch spricht.

Bettina (stolz):
Also, ich setze mich nicht neben sie! Ausländer stinken und haben Läuse, hat meine Mutti gesagt.

Claudia (lacht):
Ich glaube fast, ...

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