Sabine:
Und ein Kopftuch hat sie auf! Wieder so eine religiöse Narrheit.
Teresa:
Wieso?
Sabine:
Das hat uns doch der Religionslehrer erklärt. Die Moslemfrauen und die Mädchen müssen Kopftücher tragen, weil ihre Religion es vorschreibt.
Peter (spöttisch):
Ach, unsere Streberin! Du willst dich wohl mit ihr anfreunden, damit du der Lehrerin imponieren kannst.
Günter (beschwichtigt):
Gebt Frieden und wartet ab, vielleicht ist sie gar nicht so übel. Erst müssen wir einmal hören, ob sie überhaupt deutsch spricht.
Bettina (stolz):
Also, ich setze mich nicht neben sie! Ausländer stinken und haben Läuse, hat meine Mutti gesagt.
Claudia (lacht):
Ich glaube fast, du hast vergessen, dass du in der Volksschule auch einmal Läuse hattest, meine Liebe. Und da gab es keine Ausländer, denen du die Schuld in die Schuhe schieben konntest.
Bettina (wütend):
Das war etwas anderes.
Martin (zu Bettina):
Natürlich, bei dir ist es immer etwas anderes. Für dich gilt nie, was für alle anderen gilt, du ewige Ausnahme!
Günter:
Hört auf zu streiten, die Neue kann euch hören, wenn ihr so schreit.
Klaus (zweifelnd):
Wenn sie uns überhaupt versteht!
Irina (ist näher an die Kinder herangekommen):
Hallo! Natürlich verstehe ich euch! Warum denn auch nicht? Ich bin in diesem Land geboren.
Herbert:
Na, bei euch weiß man das vorher nie. Manche von euch stellen sich dumm —
Teresa:
— und andere sind es wirklich!
Die Schüler lachen. Irina wendet sich an Teresa.
Irina:
Und woher weißt du das?
Teresa:
Das sagen doch alle. Ausländer sind dumm und schmutzig.
Irina:
Ach so ist das. Das ist mir ganz neu.
Irina geht zur Seite. Frau Rosner, die Lehrerin erscheint.
Frau Rosner:
Wie ich sehe, habt ihr euch schon bekannt gemacht. Irina kommt in unsere Klasse. Seid nett zu ihr, ihr wisst, wie schwer es am Anfang in einer neuen Schule ist.
Sabine (bestimmend):
Neben mir sitzt die aber nicht!
Frau Rosner:
Aber Sabine! Du wirst doch keine Vorurteile haben!
Sabine:
Nein, das nicht, aber —
Frau Rosner:
Na, wir werden sehen. Ich muss wieder ins Lehrerzimmer, wir sehen uns nach der Pause.
Die Kinder spielen, Irina steht abseits.
Klaus:
Schaut sie an, unsere Neue! Keiner redet mit ihr.
Herbert:
Ist auch kein Wunder, so wie sie daherkommt.
Günter:
Ich weiß nicht, was ihr habt! Nur weil sie ein Kopftuch trägt. Sie ist hier geboren wie wir anderen auch alle.
Teresa:
Ich nicht. Ich bin in Rom auf die Welt gekommen.
Sabine:
Das ist etwas anderes. Rom ist nicht Istanbul! Du bist ja auch hier aufgewachsen und redest wie wir.
Günter:
Irgendwie kommt mir das aber eigenartig vor. Die Neue spricht auch wie wir, aber ihr lehnt sie alle ab.
Klaus:
Kannst ja mit ihr reden, wenn du willst. Wir wollen es eben nicht. Basta.
Günter geht und zuckt die Schultern. Frau Rosner erscheint.
Frau Rosner:
Hallo, Günter! Mit dir wollte ich gerade reden. Du scheinst mir nicht so verbohrt zu sein wie die übrigen in deiner Klasse. Könntest du dich ein bisschen um Irina kümmern? Für sie ist es wirklich schwer, die Familie ist erst vor kurzem in unsere Stadt gezogen.
Günter (etwas verlegen):
Hm, ja, also — ich weiß nicht so Recht — ich — ich...
Frau Rosner:
Dir wird schon was einfallen! Danke!
Sie dreht sich um und geht. Günter will zu den anderen laufen, da stellt sich ihm Irina in den Weg.
Irina:
Ich weiß schon, was die Lehrerin wollte. Du brauchst nicht mein Kindermädchen zu spielen, wenn du das nicht willst. Wahrscheinlich werden deine Freunde dann nicht mehr mit dir reden, und das will ich nicht. Ich kenne das alles. Beim letzten Mal war das genauso.
Günter:
Was war genauso?
Irina:
In jeder neuen Schule ist es gleich: Man redet über mich, man lacht mich aus, man will nicht neben mir sitzen. Das macht mir schon gar nichts mehr aus. Die sind eben alle dumm. Die Erwachsenen machen es meinen Eltern schwer und die Kinder mir. Ich bin nur froh, dass wir in der Familie so fest zusammenhalten.
Günter:
Ich wollte aber...
Irina:
Bemüh dich nicht. Ich gehe jetzt. Ciao!
Irina geht, Günter schaut ihr verdutzt nach. Licht aus.
4. Szene
Personen:
Irina, Frau und Herr Özük
Bühnenbild:
Wohnzimmer
Herr Özük:
Na, kleine Maus, wie war der erste Tag in der neuen Schule?
Irina (enttäuscht):
Grässlich! Wie jedes andere erste Mal eben. Es war noch in keiner Schule anders.
Frau Özük:
Ich weiß Irina, für dich ist es am schwersten. Kaum hast du die ersten Schwierigkeiten überwunden und neue Freundschaften geschlossen, ziehen wir schon wieder um. Aber ich verspreche dir, dieses Mal bleiben wir.
Herr Özük:
Ja, man hat mir endlich einen unbefristeten Vertrag angeboten, und Mutter hat im Spital eine gute Stelle. Sie kann sich ihren Dienst so einteilen, dass für dich mehr Zeit bleibt. Schau, dass das mit deiner neuen Klasse klappt.
Irina:
Wenn das so einfach wäre! Die lassen mich kaum an sich heran, ich komme nicht einmal dazu, mit ihnen zu reden. Nur einer ist dabei, der scheint nicht so verbohrt zu sein.
Herr Özük:
Na siehst du, mit dem redest du. Vielleicht kann er die anderen davon überzeugen, dass wir nicht so sind, wie alle Menschen glauben.
Frau Özük:
Weißt du noch, was ich dir immer erzählt habe, als du noch klein warst?
Irina:
O ja, ich erinnere mich genau. Die Geschichte mit den Mauern, nicht wahr? Und du glaubst, das hilft?
Frau Özük:
Probier es doch aus!
Irina:
Und das Kopftuch? Das brauche ich doch morgen nicht mehr, gelt, Papa?
Herr Özük:
Doch, das Kopftuch bleibt. Und wenn sie sich daran stoßen, zeigt das nur, wie beschränkt sie sind.
Irina nickt traurig und geht. Licht aus.
5. Szene
Personen:
Irina, Schüler
Bühnenbild:
Schulhof, alle sind versammelt, Irina fehlt noch.
Bettina:
Ob sie sich heute überhaupt noch sehen lässt?
Claudia:
Warum nicht? Man weiß doch, wie lästig solche Leute sind.
Herbert:
Mich stört sie nicht, solange sie uns in Ruhe lässt.
Günter:
Wieso sagst du „uns“? Mich stört sie überhaupt nicht.
Sabine:
Ach, schaut mal, wie er sich einsetzt!
Klaus (spöttisch):
Sie gefällt dir wohl!
Günter:
Dir etwa nicht? Sie ist doch hübsch.
Teresa:
Wie könnt ihr das sagen, man weiß ja nicht einmal, welche Haarfarbe sie hat!
Günter:
Darauf kommt es wohl nicht an.
Martin:
Darauf kommt es schon an. Stellt euch doch Teresa mit grünen Haaren vor, wie entsetzlich!
Peter:
Oje, jetzt hast du Teresa aber beleidigt! Wo sie sich doch so viel auf ihre Schönheit einbildet...
Teresa:
Ihr spinnt ja! Ich geh jetzt heim, meine Mutter wartet mit dem Essen.
Martin:
Treffen wir uns am Nachmittag im Park beim Spielplatz?
Bettina:
Vielleicht schreist du noch lauter, damit die Neue es auch noch hört!
Claudia:
Günter wäre es schon Recht, wenn sie käme, nicht wahr?
Günter:
Ihr seid ja so blöd!
Während die übrigen noch dastehen und reden, kommt Irina, die sich zuerst in einiger Entfernung aufgehalten hat, näher.
Irina:
Hallo!
Sabine:
Hallo. Was machst du hier?
Irina:
Ich wollte euch fragen, wo es hier einen Spielplatz gibt.
Bettina:
Hast du gelauscht? Das tut man nicht.
Teresa:
Außerdem geht dich das überhaupt nichts an!
Herbert (aufgebracht):
Na, jetzt reicht es aber, Mädchen! Das ist ein öffentlicher Spielplatz, und den dürfen alle benützen.
Claudia:
Lasst sie doch hingehen. (zu Bettina:) Sie soll ruhig hinkommen, wenn wir sie nicht mitspielen lassen, wird ihr langweilig, und sie geht schnell wieder. Du wirst schon sehen.
Peter:
Der Spielplatz ist hinter dem Rathaus. Siehst du das Türmchen dort drüben?
Es gehört zum Rathaus. Wenn du davor stehst, gehst du links um die Ecke und schon bist du da.
Irina:
Danke. Ciao!
Licht aus.
6.Szene
Die Mitschüler treten nacheinander auf die Bühne; Irina kommt später dazu
Klaus, Herbert und Sabine treten auf.
Klaus (verärgert): Warum musste Peter dieser Irina unbedingt sagen, wo unser Spielplatz ist? Hoffentlich ist die nicht da.
Sabine: Werden wir ja gleich sehen....
(alle ab. Alle Mitschüler auf dem Spielplatz)
Alle begrüßen sich untereinander.
Claudia (erfreut): Hey toll, Irina ist nicht da...
Martin: Ja, zum Glück ist sie nicht gekommen.
Bettina: Richtig, sie hätte ja eh nur den Sandkasten verseucht.
Günther: Jetzt hör aber auf Bettina.
Claudia (vorerst überlegend): Hey, was haltet ihr von Tat, Wahrheit, Konsum?
Herbert: Ja, gute Idee.
Claudia: Okay Teresa, fang du an!
Teresa: Ich nehme Peter.
Peter (schmollend): Ochnö, warum immer ich?! Dann nehme ich Tat.
Teresa (händereibend): Okay, mal überlegen. Wie wär’s mit einer Hand voll Sand?
Peter (grummelt)
Peter will Sand gerade essen, lässt ihn aber aus der Hand gleiten während er auf Irina starrt.
Irina: Hallo!
Günther: Hallo Irina. Möchtest du mitspielen?
(Mitschüler gucken Günther verärgert an)
Martin: Och ne...
(die Mitschüler tuscheln)
Bettina (heimtückisch): Lass sie doch mitspielen. Das wird sicher lustig. (zwinkert)
(Mitschüler gucken verwirrt)
Herbert (angewidert): Solange sie nicht neben mir sitzt.
(Irina setzt sich neben Günther, Schüler/in auf der anderen Seite rutscht ein Stückchen weg)
Bettina: Ich fang an und dann nehme ich gleich mal Irina. Willst du Tat, Wahrheit Konsum nehmen?
Irina: Was?
Martin: Das ist ein Spiel. Bei Tat musst du tun, was dir gesagt wird, bei Wahrheit musst du eine Frage ehrlich beantworten und bei Konsum kannst du dir eine Aufgabe aus drei verschiedenen aussuchen, die du machen musst.
Irina: Aha, dann nehme ich Wahrh...
Sabine: Hey klasse das du Tat nimmst.
Irina: Eigentlich wollte ich ja...
Bettina: Okay, du nimmst Tat, ganz schön mutig. Deine Aufgabe: Nimm das Kopftuch ab...
Irina: Nein, das darf ich nicht. Meine Religion verbietet mir das.
Sabine: Spaßbremse!!
Martin: So eine Spielverderberin.
Klaus: Angsthase, Pfeffernase.
Bettina: Das war ja klar, dass DIE da nicht mitmacht.
(Irina schaut eingeschüchtert)
Herbert: Mach doch, dieses eine mal, ganz kurz, wir sind doch unter uns.
Günther: Ach lass die doch.
Alle: Nun mach schon, .... los...
Peter: Los Angsthase, zier dich nicht so....
Irina (eingeschüchtert und zögernd): Naja..., gut..., vielleicht...
Irina fasst sich an das Kopftuch und nimmt langsam ihr Kopftuch ab. Die Mitschüler schauen sie an. Im Hintergrund treten nun Herr und Frau Özük Arm in Arm auf die Bühne; erkennen Irina erst nicht.
Herr Özük: Ach wie respektlos ...siehst du das Mädchen da (zeigt auf Irina) Sie zieht die Ehre ihrer ganzen Familie in den Dreck. Wenn das meine Tochter wäre, würde ich das nicht...
Frau Özük: Warte mal... das ist doch Irinchen ... (sprachlos)
Herr Özük: (wütend) Da geh ich jetzt hin, das kann doch nicht wahr sein!
Frau Özük: (hält Herr Ö fest) Warte, sie scheint doch gerade Freunde gefunden zu haben. Wir können zu Hause mit ihr reden.
Herr Özük: Was die für einen Einfluss auf Irina haben... Die kann was erleben.
Heer Özük (reißt sich von Frau Ö los; geht zu Irina, zieht sie zu sich) Irina, was hast du dir dabei gedacht. (schreit) Komm sofort mit.
Die Mitschüler schauen verdutzt, verwirrt und geschockt.
Martin: Oh man, jetzt schlägt er sie bestimmt.
Günther (bedrückt): Wenn ja, ist das alles unsere Schuld.
Klaus: Lasst uns lieber nach Hause gehen.
Ende der Szene
7. Szene
Mitschüler langsam ab, Familie Özük im Hintergrund auf der Bühne. Frau Özük will Tür auf schließen, blickt nach hinten zu Herr Öük der noch immer schimpft.
Frau Özük: Schatz, schrei doch nicht so, die Nachbarn gucken schon.
Familie geht in die Wohnung, Vorhang zu.
Herr Knurr und Herr Bittel treten vor den Vorhang
Herr Knurr: Ach, diese Barbaren, wie die ihre Kinder behandeln. Erst anschreien und wohlmöglich in der Wohnung noch schlagen, sie sie... das geht doch wirklich nicht.
Herr Bittel: Ja, dass kann ich auch nicht gut heißen, aber wir wissen doch nicht ob sie sie wirklich schlagen. Oder hast du es gesehen?
Herr Knurr: So was weiß man doch, dass ist doch bei denen normal.
Herr Bittel (nachfragend): Wie bei solchen Leuten?
Herr Knurr: Na diese Kanaken... Und so wie sie das Mädchen gerade durch den Gang geschleift haben.
Herr Bittel: Aber eigentlich geht uns das doch gar nichts an!
Herr Knurr: Aber wir leben doch in einem Sozialstaat, da muss man doch auf seine Mitmenschen achten. Das ist oberste Pflicht eines guten Bürgers!
Herr Bittel: Ach plötzlich sind es Mitmenschen?
Herr Knurr: Ach, trotzdem sind sie nicht Menschen wie wir.
8. Szene
Familie Özük ist in der Wohnung, Küche, Herr Özük zerrt sie auf den Stuhl.
Herr Özük: was fällt dir ein? Du missachtest unseren Glauben...
Frau Özük: Schrei sie doch nicht so an! Wir können doch auch normal mit ihr reden. Warum hast du das gemacht?
Herr Özük geht wütend ins Wohnzimmer...
Irina (schluchtst und weint): Ich wollte einfach nur zu der Gruppe gehören und da habe ich es eben abgenommen.
Frau Özük: Ich verstehe was du meinst aber wenn sie dich nur ohne Kopftuch akzeptieren, dann sind sie keine wahren Freunde. Und jetzt wisch erstmal die Tränen ab (zieht ein Taschentuch hervor und wischt Irina die Tränen ab)
Vorhang schließt sich.
9. Szene
Am nächsten Tag in der Schule sind alle Mitschüler versammelt.
Bettina (schaut sich um): Irina ist noch gar nicht da. Bestimmt hat ihr Vater sie verprügelt, so wie der gestern ausgerastet ist. Ausländer eben.
Günther: Ach Quatsch, da kommt sie doch (flüstert Bettina zu) und jetzt lass endlich deine Sprüche.
Irina kommt zu den Mitschülern, alle stehen beisammen, keiner findet einen Anfang zum reden.
Klaus (räuspert): Na, gab’s noch Ärger?
Peter: Ich kann’s mir gut vorstellen, bei deiner Kultur.
Günther: Jetzt tut mal nicht so, eure Eltern werden auch mal sauer.
Martin: Haben sie dich geschlagen?
Herbert (einmischend): Also meine Eltern haben mich noch nie geschlagen.
Martin: Ja, meine haben es ja auch noch nie getan, aber hätte ja sein können, das Irinas Eltern so was machen.
Irina: Meine Eltern schlagen mich nicht. Sie haben nur mit mir geredet. Mein Vater war ganz schön enttäuscht.
Sabine: Echt? Also ich wurde schon mal geschlagen, aber nur eine kleine Backpfeife
Teresa: Na das ist doch ganz normal, vor allem bei dir (schmunzelt)
Sabine: Hey!
Mitschüler lachen und Irina schmunzelt.
Irina: Naja, wie gesagt, sie haben mich noch nie geschlagen und werden das auch nicht tun. Ich hab nur eine Woche Hauserrest bekommen.
Bettina (abweisend) Ja ja, da hast du wohl noch mal Glück gehabt.
Claudia: Tut uns Leid, dass du wegen uns Ärger bekommen hast. War echt eine dumme Idee.
Irina (guckt zu Boden): Ist schon gut.
Günther: Wenn der Hauserrest vorbei ist, kannst du ja mal mit zum Spielplatz kommen. Wir können dich auch abholen.
Bettina (wütend): Was? Du lädst sie auf unseren Spielplatz ein? Spinnst du?
Klaus: Nun hab dich nicht so. Sie ist doch ganz nett.
Vorhang schließt sich langsam
Sabine: Nett? Das kannst du doch nicht ernst meinen? Seit sie da ist, streiten wir uns viel öfter.
Claudia: Willst du denn wirklich sagen, dass das ihre Schuld ist? Hast du dir mal an deine eigene Nase gefasst?
Ende