„Nun ist der Horror endlich vorbei! Ich fühle mich sehr befreit, aber alles hat sich verändert. Tarrou, Pater Paneloux, Philipe, Cottard und meine geliebte Elizabeth sind alle von mir gegangen. Diese Menschen haben mir so viel bedeutet und ich konnte sie nicht retten. Es war ein harter Kampf bis zum Schluss. Der Tod von Elizabeth ist meine Schuld. Hättet ich mich doch mehr um sie gekümmert. Ich war mein ganzes Leben nur auf meine Arbeit konzentriert und habe sie zu oft vernachlässigt. Hoffentlich verzeiht sie mir! Ich weiß, dass sie mir keine Schuld gibt, weil sie immer so fürsorglich und einfühlsam war. Ohne ihre Unterstützung hätte ich es im Beruf nicht so weit gebracht. Die Pest hat uns von einander getrennt. In den letzten Momenten ihres Lebens konnte ich nicht bei ihr sein. Nun hat sie endlich ihren wohlverdienten Frieden gefunden. Unser Abschied am Bahnhof, ihr Gesicht voller Tränen und ihr Lächeln werden immer in meinem Herzen bleiben. Hätte ich damals gewusst, dass es ein Abschied für immer sein würde, hätte ich sie nicht gehe gelassen
Wenn ich an Tarrou denke, wie schmerzt mich auch sein Verlust. Mit ihm habe ich so viel durchgestanden! Ich hätte ihm noch so viel zu erzählen. Unsere gemeinsamen Momente- das Schwimmen und die Gespräche werde ich nie vergessen. Sie haben mir auch geholfen der grausamen Realität zu fliehen, so dass ich meine Sorgen hinter mir lassen konnte. Diese Momente sind mir heilig. Noch immer kann ich die sanfte Brise auf der Dachterrasse fühlen und habe den Ausblick auf dem Meer vor Augen. Diese Freundschaft zu ihm in so einer schwierigen Situation ist etwas sehr Besonderes. Sein Tod in der allerletzten Stunde der Pest hat mich tief getroffen. Oft frage ich mich warum gerade er, der so viel Gutes getan hat, sterben musste. Die Pest sucht sich immer die falschen Opfer. Ach, was ist alles in der Pestzeit passiert, wie viele Menschen sind von uns gegangen, wie viele Tote ich habe gesehen und wie viele Menschen wurden bestatten!
Aber der Tod von dem kleinen Kind ist mir am nächsten gegangen. Es war noch so jung, viel zu jung. Sein ganzes Leben hatte es noch vor sich und ich konnte es nicht retten. Die Qualen! Die Schmerzen! Das ganze Leiden! Ach, warum habe ich gerade an ihm das neue Serum ausprobiert. Wie konnte ich so etwas geschehen lassen - ein so junges Leben, für immer zerstört. Alles ging so schnell, wie ein Sturm oder eine Flut, die ohne Ankündigung kommt und geht. Ich bin so müde. (Der Regen prasselt laut gegen die Fenster). Ich sehe seine kleinen Augen genau vor mir. Wie es mich angeschaut hat, als ob es schreien wollte: “Warum lässt du mich so leiden?“ Die Tränen im seinem Gesicht, die Spuren seines Leidens. Glaube mir mein Kind ich wollte es nicht, wirklich nicht. Es war ein unschuldiges Leben. Verzeihe mir!
Paneloux war ein guter Mensch. Ich glaube, auch wenn wir so verschieden waren, hatten wir ein gemeinsames Ziel: Die Rettung des Menschen. Er ein Christ und ich ein Atheist. Grundverschieden, aber mit dem gleichen Ziel- Leben retten. Er hat so viel geleistet, dass werde ich dir nie vergessen. Seine Persönlichkeit war zwiespältig. Er wusste nicht wie er dem allmächtigen Gott wirklich vertrauen konnte. Vor allem der Tod des unschuldigen Kindes hat ihn verwirrt. Deshalb konnte ich ihn richtig einschätzen. Sein einsamer Tod- war tragisch und zweideutig, aber nun ist er bei Gott und hat seinen Frieden. Er hat getan, was er für richtig hielt und ich danke ihm dafür.
Auch wenn ich nach außen hin stark wirkte, habe ich dennoch manchmal mit den Gedanken gespielt den Kampf auf zugeben. Aber sie alle- Paneloux, Tarrou, Grand, Rambert- sie haben mir das Gefühl gegeben, dass ich nicht aufgeben darf. Grand, der immer unscheinbar war, hat mit all seiner Kraft gekämpft. Tarrou, er kam zu mir und gründete die Sanitätstruppe. Paneloux, er versuchte mit der Religion die Menschen zu retten. Cottard hat die Situation ausgenutzt. Aber auch er hast sein Gutes getan, auch wenn es illegal war. Er hat den Menschen in der Stadt glückliche Momente gebracht, als sie Nachricht von den Verwandten außerhalb der Stadtmauer erfuhren. Aber ich….ich war wie eine Hiobsbotschaft in der Stadt. Ich erschien, diagnostizierte die Pest, kündigte die Isolation an. (Der Himmel wirkt dunkler und der Regen lauter) Das war meine Rolle in einer Zeit, deren Ende nicht voraussehbar war. Ich musste abgehärtet wirken und durfte keine Gefühle zeigen. Abends lag ich in Bett und versuchte zu schlafen. Aber immer sah ich die Toten vor meinen Augen und hörte die Schreie der Verwandten „ Herr Doktor, retten Sie sein Leben.“. Niemand wusste von meinem Leiden. Ich durfte es nicht zeigen. Nie. Nur meine Mutter wusste von meinen Schmerzen und Qualen. Ihre schweigende Liebe gab mir Kraft. Ohne sie hätte ich das alles nicht durchstehen können.
Die Pest ist vorbei, wie ein Blitz ist sie eingeschlagen und hat unser aller Leben verändert. Nun ist sie verschwunden. Ich habe den Krieg gegen sie nicht gewinnen können, sie war zu mächtig. Aber ich habe etwas gewonnen. Ich habe sie kennengelernt. Mit all meiner Kraft habe ich gegen sie gekämpft, sowie Tarrou, Paneloux, Cottard und das kleine Kind. Alle haben gekämpft. Jeder auf seiner Art.
Nun hat alles sein Ende gefunden. Ich brauche Urlaub. Aber die Ereignisse und Erinnerungen werden mich für immer verfolgen. Man kann es nicht vergessen und …. Man darf es nicht vergessen. Die Pest hat mich verändert. Nichts ist mehr wie sonst. Aber einst bleibt. Meine Aufgabe: Das Heilen und Retten der Menschen. Alle Bürger der Stadt feiern die Öffnung der Stadt. Heute wird nicht von den Toten geredet. Man schweigt, so als ob sie nie existiert hätten. Aber ich werde sie nie vergessen und vergessen lassen. Ich als ein Überlebender muss etwas tun. Ich muss Zeugnis ablegen. Ich werde die Toten wieder aufleben lassen. Ja. Das werde ich machen. Ein Buch. Nein,…. Eine Chronik. Ja, ….. Es wird die Chronik der Pest. (Hinter den dichten schwarzen Wolken versteckt sich die Sonne. Wenn man genau hinschaut, ahnt man ihre Strahlen.)
Wörter : 1210
„Die Pest“ - S.217 – Albert Camus – rororo – Dezember 1998