Elektra wirkt im Gegensatz zu Antigone erwachsener. In der Stadt Argos ist sie eine Außenseiterin „..., ich habe nur mich. Ich bin eine Krätze, eine Pest.“(120). Sie, die Prinzessin von Argos, hat keine Freunde, ist die Magd der eigenen Mutter und bekommt von niemandem Liebe, Zuwendung oder Geborgenheit. Aber dennoch wirkt sie wie ein Kind, als sie von den Mädchen und Jungen in Korinth schwärmt „ alle sind draußen? ...gehen spazieren.“(121). Diese Art von Illusionen machen ihr das Leben erträglich.
Auch Antigone hat Träume. Durch die Bestattung ihres Bruders setzt sie ihr eigenes Glück aufs Spiel. Sie ist verlobt mit Hämon, dem Sohn ihres Onkels, der der jetzige König von Theben ist. Hämon und Antigone haben sich gestritten, da Antigone versucht hat mit Ismenes Lippenstift, Parfüm und Kleid erwachsen zu wirken, um Hämon zu verführen. Aber Hämon lacht sie nur aus. Es ist zu erkennen, dass Hämon Antigone nicht ganz ernst nimmt, da er sie „meine kleine Närrin“(21) nennt. Antigone ist den Augen anderer ein kleines Mädchen, aber sie möchte gerne erwachsen werden. Sie träumt von Familie und Kindern, welche sie nie bekommen wird.
Auffällig ist, dass sich sowohl Elektra als auch Antigone dem König der Stadt widersetzen. Beim Totenfest erscheint Elektra in einem schönen, weißen Kleid und lacht und tanzt. Sie zeigt keinerlei Furcht und möchte dem Volk die Augen öffnen„ Wovor habt ihr Angst?“(138). Mit ihrem provokanten Auftritt rebelliert sie gegen Ägist und die Götter. Sie ist entschlossen und betont, dass sie für „die Freude“, „den Frieden der Menschen“, „das Glück“ und „das Leben“(140) tanzt. Elektra wirkt unerschrocken und erwachsen, da sie für ihren Willen und ihre Träume kämpft.
Antigone hat gegen das Gesetz ihren Bruder Polyneikos bestattet, aber sie hat die Tat nicht begangen, um gegen das Gesetz zu rebellieren, sondern um ihre Idee von der absoluten Freiheit und ihren Idealismus auszuleben. Am Tatort hat man „eine ganz kleine, verrostete Kinderschaufel“(27) gefunden, woraus Kreon schließt, dass „ein Kind!“(27) die Tat begangen hat. Als Kreon erfährt, dass es Antigone war, behandelt er sie wie ein unerzogenes Kind, indem er sie auf ihr Zimmer schickt. Für Kreon ist Antigone ein Kind „du Spatz“(37). Er versucht ihr klar zu machen, dass man kein vollkommenes Glück erlangen kann. Man soll sich auch mit dem kleinem Glück zufrieden geben „und wenn du alt wirst … Vielleicht ist das ganze Leben nur ein bisschen Glück.“(49). Aber Antigone lehnt seine Lebensphilosophie ab, da sie „alles, sofort und vollkommen- oder … nichts“(51) will. Sie „kann nicht bescheiden sein und“ sich „mit einem kleinen Stückchen genügen“(51). Sie will, dass alles so schön bleibt wie in ihrer Kindheit. Immer wieder betont sie „ich will nicht verstehen! Das ist etwas für dich. Ich bin nicht da, um zu verstehen. Ich muss nein sagen und sterben.“(44). Das Wort „verstehen“ drück das Kindsein und die Kindheitserinnerungen aus. Vielmehr hält Antigone an ihrem Ideal eines sinnvollen Daseins fest, wie sie es als Kind erlebt hat „Ich will die Gewissheit haben, dass es so schön wird, wie meine Kindheit war- oder ich will lieber sterben.“(51)Es zeigt deutlich wie naiv und kindisch Antigone ist, auch wenn sie versucht erwachsen zu sein.
Antigones maßlose Erwartung dem Leben gegenüber zeigt sich auch in ihren schlagwortähnlichen Formulierungen, die den Sprüchen gleichen, wie sie von manchen protestierenden Jugendlichen an die Wände gesprüht werden: „ich will alles, sofort und vollkommen- oder will ich nichts“(51). Ganz anders ist ihre Sprache, wenn sie die zierliche, magere, schutzsuchende Antigone ist, die sich klein vorkommt: „ Du bist ja bei mir. Ich halte deine rissige Hand, ... , die mir so oft geholfen hat.“(18).
Im Gegensatz zu Antigone wirkt Elektra nach außen zwar erwachsen und stark, ist aber in ihrem Inneren auch nur ein Kind und sehr verletzlich. Die ganzen Jahre hat sie nur eine Hoffnung, dass ihr Bruder Orest den Vater rächen wird „Er wird kommen“(144). Sie wartet auf „einen großen Soldat, mit großen roten Augen“(144). Nie hat sie erwartet, dass der junge, gutausehende und fromme Philebos ihr Bruder ist. Enttäuscht ist sie, dass Orest nicht vorhat den Vater zu rächen, sondern mit ihr fliehen möchte. Aber sie möchte nichts davon wissen. Sie betont, dass sie eine Atridin ist und hier bleiben muss, um „das Los der Atriden“(145) zu erfüllen. Im Gespräch mit Orest ist Elektra selbstsicher und hasserfüllt. Sie würde den Racheplan auch allein vollenden, da Orest zu schwach wirkt „Das ist meine Sache. Lebewohl, Philebos.“(146). Aber trotz allem ist sie am Ende sehr erleichtert, als sich Orest entscheidet zu bleiben, um den Vater zu rächen . In diesem Augenblick spürt Elektra zum ersten Mal Geborgenheit und Liebe. Obwohl Elektra nun jemanden, auf den sie sich verlassen kann „mein älterer Bruder,…, beschütze mich“(152),wirkt sie schwach und verletzlich wie ein Kind.
Am Ende des Dramas bekommen sowohl Elektra als auch Antigone Panikgefühle. Im Gefängnis lässt Antigone von einem Wärter einen Brief für Hämon verfassen. Sie bemerkt, wie einsam sie ist und denkt über das Sterben nach „Meinst du, dass es weh tun wird – das Sterben?“(58). Sie träumt von der Hochzeit und die Zukunft an der Seite von Hämon, welche sie nie erleben wird. In ihrer Angst zweifelt sie sogar „Kreon hatte recht – es ist furchtbar. Ich weiß nicht mehr wofür ich sterbe.“(60). Mit den Worten „ohne die kleine Antigone wärt ihr alle glücklicher gewesen.“(60) verabschiedet Antigone sich von der Welt. Sie stirbt für ihren Idealismus, da sie sich an das Kindsein hält. Am Schluss des Stückes, in dem Dialog des allein gebliebenen Kreon und seines Pagen, wird das Thema des Erwachsenwerdens noch einmal aufgegriffen. Kreon fragt, ob der Page erwachsen werden möchte, welches dieser bejaht. Kreon sagt darauf: „ Du bist verrückt, mein Kleiner. Man sollte immer ein Kind bleiben können.“(63).
Elektra ist diejenige, die immer an der Rache an Ägist festhält. Doch plötzlich, nachdem Ägist und Klytämnestra von Orest umgebracht worden sind, fühlt sie sich schuldig und bereut die Tat. Im Gegensatz zu Orest, der betont, dass er sich frei fühlt, sagt sie: „Ich fühle mich nicht frei.“(167). Elektra, die früher voller Selbstbewusstsein war, wird nun von den Fliegen verfolgt. Sie zeigt kein erwachsenes Benehmen, da sie keinerlei Verantwortung für ihre Tat übernimmt. Sie entfremdet sich von ihrem Bruder, da er die Verantwortung übernimmt und seinen eigenen Weg findet. Dies wird auch durch die Hell- und Dunkelmetapher verstärkt. Elektra, die die Tat bereut und nicht klar sehen kann, ist von den Fliegen bedeckt „Schatten verdecken mir mein Gesicht.“(168). Orest hingegen wird nicht verdeckt und sieht den erleuchteten Tag. In ihrer Verzweifelung wendet Elektra sich an Jupiter, den sie frührer verachtete. Sie hofft bei ihm Schutz vor den Fliegen zu finden. Es zeigt wie manipulierbar Elektra ist, sie übernimmt nicht die Verantwortung wie ein Erwachsener, sondern wird lieber die Sklavin Jupiters und somit abhängig von ihm
Anouilhs Drama „Antigone“ stellt den Kampf zwischen Angehörigen zweier Generationen der. Der Konflikt zwischen den beiden Helden veranschaulicht nicht nur die Auseinandersetzung zwischen dem aufsässigen Kind und dem erziehenden Erwachsenen, sondern auch den Jugendprotest der Gesellschaft. Somit wird klar, dass die Figur der Antigone den Generationskonflikt in der Gesellschaft darstellt. Mit dem Dialog von Kreon und dem Pagen fasst Anouilh sein Rahmenthema zusammen und drückt aus, dass man die Kindheit genießen soll, um Illusionen und Träume nicht zu verlieren. Sartres Intention ist, dass man erst dann erwachsen ist, wenn man Verantwortung übernimmt. Elektra zeigt, dass ihr Selbstbewusstsein verloren geht, nachdem der Racheakt tatsächlich begangen worden ist. Aber innerlich ist sie nicht bereit gewesen die Bürde der Verantwortung zu übernehmen. Somit wird deutlich, dass beide Protagonistinnen nicht erwaschen werden leben weiter in ihrer Kindheit.
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