Gutachten - Tatkomplex: Aufbringen der Flssigkeit auf die Kennzeichen

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                           Gutachten

1. Tatkomplex: Aufbringen der Flüssigkeit auf die Kennzeichen

Der M könnte sich durch das Aufbringen der farblosen Flüssigkeit auf die Nummernschilder der Urkundenfälschung gemäß § 267 I 2. Alt. strafbar gemacht haben.

A Tatbestand

I Objektiver Tatbestand

a) Urkunde

Eine Urkunde im Sinne des materiellen Strafrechts ist jede verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt und geeignet ist und die ihren Aussteller erkennen lässt. Diese wird üblicherweise in Schriftform abgegeben. Problematisch erscheint jedoch, dass es sich bei dem Nummernschild gerade um kein Schriftstück handelt. Ob auch sog. Beweiszeichen, also Nichtschriftstücke, unter den strafrechtlichen Urkundenbegriff fallen, ist streitig. Beweiszeichen sind mit einem körperlichen Gegenstand fest verbundene Zeichen, die nach Gesetz, Herkommen oder Vereinbarung des Beteiligten erkennbar eine Gedankenäußerung des Urhebers darstellen, bestimmt und geeignet sind, für sich oder mit Hilfe anderer Auslegungsmittel Beweis im Rechtsverkehr zu erbringen. Eine Mindermeinung misst aber nur in Schriftform verkörperten Gedankenerklärungen Urkundeneigenschaften zu. Hiernach würden Nummernschilder nicht als Urkunden gelten. Jedoch zählen nach Rechtssprechung und hM Nummernschilder als Urkunden. Ein Kennzeichen verkörpert die Erklärung der Zulassungsstelle als Ausstellerin, dass dieses Fahrzeug für einen bestimmten  Halter zum öffentlichen Verkehr zugelassen worden ist. Folglich hat ein Nummernschild alle Urkundeneigenschaften und ist als Urkunde anzusehen.

b) Verfälschen der Urkunde

Verfälschen heißt, dass unbefugt die gedankliche Erklärung der Urkunde in eine andere geändert wurde. Der M müsste also die Erklärung der Nummernschilder verändert haben. Ob dies geschehen ist, ist umstritten.

aa) Erste Ansicht

Die Zulassung eines PKW zum Betrieb auf öffentlichen Straßen geschieht nach § 18 I StVZO durch Erteilung der Betriebserlaubnis und durch die Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens.  Im Rahmen dieses Verfahrens hat die Zulassungsstelle gem. § 23 IV 4 StVZO zu prüfen, ob das Kennzeichen vorschriftsmäßig ist. Nach § 60 I 4 StVZO dürfen die Kennzeichen weder spiegeln noch mit Folien versehen sein. Dieses wird durch die amtliche Siegelmarke bestätigt. Bringt nun jemand durchsichtige, aber Blitzlicht reflektierende Flüssigkeit auf das Kennzeichen, verändert er die Erklärung des Amtes, dass das Kennzeichen vorschriftsmäßig sei. Nach dieser Ansicht ist im vorliegenden Fall eine Urkunde verfälscht wurden.

bb) Zweite Ansicht

Die Siegelmarke der Zulassungsstelle besagt nur, dass zum Zeitpunkt der Zulassung die Kennzeichen der Vorschrift entsprachen. Diese Aussage wird durch Aufbringen der Flüssigkeit nicht verändert. Sie entsprechen nun nur nicht mehr den Anforderungen des § 60 StVZO. Durch die Maßnahme wird nur die Ablesbarkeit bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt, sonst aber keine Änderung daran vorgenommen. Nach dieser Ansicht läge hier keine Verfälschung einer Urkunde vor.

cc) Streitentscheid

Nach der ersten Ansicht würde auch ein Verschmutzen der Kennzeichen einer Urkundenfälschung gleich kommen. Dieses erscheint sehr fragwürdig. Das Delikt der Urkundenfälschung würde zu weit ausgedehnt werden. Folglich ist die erste Ansicht abzulehnen und der zweiten Ansicht ist zu folgen. Es liegt keine Verfälschung einer Urkunde vor.

B Ergebnis

Der M hat sich durch das Aufbringen der farblosen Flüssigkeit auf die Nummernschilder nicht der Urkundenfälschung gemäß § 267 I 2. Alt. strafbar gemacht haben.

Der M könnte sich durch das Aufbringen der Flüssigkeit auf die Kennzeichen der Urkundenunterdrückung gemäß § 274 I Nr.1 strafbar gemacht haben.

A Tatbestand

I Objektiver Tatbestand

a) Urkunde

Der Urkundenbegriff entspricht dem des § 267. Wie oben gezeigt handelt es sich bei den Kennzeichen um eine Urkunde.

b) dem Täter nicht oder nicht ausschließlich gehört

Gehören bezeichnet hier nicht die dinglichen Eigentumsverhältnisse, sondern das Recht mit der Urkunde im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. § 274 kommt daher nur in Betracht, wenn dem Staat oder anderen Verkehrsteilnehmern ein Beweisrecht an der Urkunde zusteht. Nach § 60 StVZO ist der Fahrzeughalter verpflichtet die Kennzeichen sichtbar anzubringen. Dieses erfolgt nicht nur im Interesse des Halters, denn hierdurch wird es ermöglicht das Fahrzeug eindeutig dem Halter zuzuordnen; was z.B. bei einer Unfallflucht eine Ermittlung des Halters ermöglicht. Daraus folgt, dass dem Staat und anderen Verkehrsteilnehmern ein Beweisrecht anzuerkennen ist. Die Urkunde gehört demzufolge dem M nicht allein.

c) Vernichtung, Beschädigung oder Unterdrückung

aa) Vernichten und Beschädigen

Vernichten, was in diesem Falle gleichbedeutend mit zerstören ist, und Beschädigen erfordert hier eine Beeinträchtigung der Brauchbarkeit zu Beweiszwecken. Jede Beschädigung oder Zerstörung beinhaltet indes auch eine tatbestandsmäßige Beschädigung des Beweismittels. Die Schriftzeichen des Kennzeichens wurden nicht verändert und somit auch nicht ihr Inhalt. Eine Beschädigung des Kennzeichens durch Beschichten mit einer durchsichtigen Flüssigkeit erscheint unlogisch. Auch ist das Kennzeichen, außer im Einzelfall des Blitzens noch voll als Beweismittel nutzbar. Folglich ist das Kennzeichen weder zerstört noch beschädigt wurden.

bb) Unterdrücken

Eine Urkunde wird unterdrückt, wenn dem Beweisführungsberechtigten die Möglichkeit ihrer Benutzung ohne Beeinträchtigung ihrer beweiserheblichen Substanz zumindest vorübergehend entzogen oder vorenthalten wird. Durch das Aufbringen der Flüssigkeit wird die normale Sichtbarkeit der Nummernschilder nicht beeinträchtigt. Beim Blitzen wird das Kennzeichen überblendet, wodurch es nur unter größerem technischen Aufwand ermittelt werden kann. Dadurch wird dem Staat die Möglichkeit der Benutzung der Urkunde als Beweis vorübergehend vorenthalten. Daher hat der M die Kennzeichen als Beweismittel unterdrückt.

d) Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand ist erfüllt.

II Subjektiver Tatbestand

Der M müsste mit Vorsatz und Nachteilzufügungsabsicht gehandelt haben.

a) Vorsatz

Zum Vorsatz gehört hier neben der Kenntnis aller Tatumstände, dass der Beeinträchtigungswille sich gegen die Funktion des Tatobjekts als Beweismittel richtet. Der M wollte gerade, dass seine Kennzeichen im Falle des Blitzens überblendet werden und somit nicht als Beweismittel nutzbar sind. Damit handelte der M vorsätzlich.

b) Nachteilzufügungsabsicht

Der M muss mit der Absicht gehandelt haben einem Anderen, durch die Verschlechterung seiner Beweislage einen Nachteil zuzufügen, wobei es sich nicht um einen Vermögensnachteil handeln muss. Betroffener ist der Staat, der den Strafanspruch nur erschwert weiter verfolgen kann. Umstritten ist jedoch, ob der Staat ein anderer im Sinne des § 274 I Nr.1 sein kann.  

aa) erste Ansicht

Im StGB finden sich mehrere Bestimmungen die den Staat als solchen bzw. in Ausübung gemeinschaftsförderlichen Tätigkeiten schützen, so z.b. in § 258. Hierdurch wird das Strafverfolgungsinteresse des Staates geschützt. Es ist kein Grund zu ersehen warum dieses aus dem Anwendungsbereich des § 274 auszunehmen ist. Nach dieser Ansicht ist der Staat ein „anderer“ im Sinne des § 274 I Nr.1 und der M hat mit Nachteilzufügungsabsicht gehandelt.

bb) zweite Ansicht

Der vom Täter beabsichtigte Nachteil im Sinne des § 274 I Nr.1 braucht zwar nicht vermögensrechtlicher Natur zu sein; es reicht auch eine Erschwerung der Beweisführung aus. Doch liegt kein Nachteil, den ein anderer erleidet, darin, dass der staatliche Straf- oder Bußgeldanspruch vereitelt wird. Hiernach fällt das Strafverfolgungsinteresse des Staates nicht in den Anwendungsbereich des § 274 I Nr.1 und der Staat ist kein „anderer“ im Sinne des § 274 I Nr.1. Der M hätte somit nicht mit Nachteilzufügungsabsicht gehandelt.

cc) Streitentscheid

Die erste Meinung stellt darauf ab, dass durch das Aufbringen der Flüssigkeit das Sanktionsrecht des Staates, wie es in § 258 geschützt ist, verletzt wird. Allerdings wird durch das Aufbringen nur die Beweismöglichkeit des Staates erschwert. Die beim Blitzen entstehende Überblendung ist mit Hilfe aufwendiger Methoden zu überbrücken. Das Rechtsgut des Sanktionsrechts und die Möglichkeit der Beweisführung bleiben daher unangetastet und zwar wegen der  Möglichkeit des Staates den Täter auf andere Weise „zu fassen“ und ihn dann zu bestrafen. Desweiteren würde eine Annahme der ersten Ansicht zu einer zu starken Ausweitung des § 274 führen. Das Beschichten des Nummernschilder ist nach § 22 StVO eine Ordnungswidrigkeit und mit einem Bußgeld belegt. Es ist nicht ersichtlich warum der § 274 auf eine Schutzfunktion für die staatlichen Bußgeldansprüche erweitert werden soll. Dieses würde den Rahmen des § 274 zu weit ausdehnen. Daher ist die erste Meinung abzulehnen und der zweiten ist zu folgen. Der Staat ist kein anderer und somit hat der M keine Nachteilzufügungsabsicht.

c) Zwischenergebnis

Der subjektive Tatbestand ist nicht erfüllt.

B Ergebnis

Der M hat sich durch das Aufbringen der Flüssigkeit auf die Kennzeichen nicht der Urkundenunterdrückung gemäß § 274 I Nr.1 strafbar gemacht.

II Zweiter Tatkomplex: Die erste Autofahrt

Der M könnte sich, aufgrund dessen das die andere Fahrerin auf den Grünstreifen ausweichen musste, der Nötigung gemäß § 240 I schuldig gemacht haben.

A Tatbestand

I objektiver Tatbestand

a) Tatobjekt

Opfer der Nötigung kann jede natürliche Person sein. Es ist davon auszugehen, dass die andere Fahrerin eine natürliche Person ist.

b) Tathandlung

Der M müsste der F gegenüber Gewalt ausgeübt haben. Gewalt ist das aktive Setzen einer Ursache dafür, dass der wirkliche und erwartete Widerstand des Angegriffenen durch ein auf dessen Körper wirkendes Mittel gebrochen oder verhindert wird. Hierzu genügt auch eine Handlung ohne unmittelbare Einwirkung auf den Körper des anderen, die von der Person gegen die sie gerichtet wird, als nicht nur seelischer, sondern auch körperlichen Zwang empfunden wird. Der Einsatz eines kraftentfaltenden Werkzeugs, etwa eines Kraftwagens, genügt. Der M fuhr direkt auf das Auto der F zu. Die F sah sich plötzlich einem entgegenkommenden Fahrzeug gegenüber. Dieses löst erfahrungsgemäß einen großen psychischen Stress aus, der die körperliche Willensentschließung stark beeinflußt. Sie wurde dem Zwang ausgesetzt auf das entgegenkommende Fahrzeug zu reagieren. Der M übte demzufolge Gewalt gegenüber der F aus.

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c) Erzwingung eines Verhaltens

In Betracht kommt jedes dem Opfer abgenötigte Verhalten. Dieses abgenötigte Verhalten muss die spezifische und unmittelbare Folge des angewandten Zwangsmittels sein. Die F wich auf den Grünstreifen aus. Ob dies infolge des Verhaltens des M geschah ist mit Hilfe der Äquivalenz- und der Adäquanztheorie zu prüfen.

aa) Äquivalenztheorie

Hiernach ist Ursache im Strafrecht jede Bedingung eines Erfolges, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Die F wich nur auf den Grünstreifen aus um den Unfall mit dem M zu verhindern. Dieses hätte sie nicht getan, wenn der M ihr nicht entgegengekommen wäre. Damit kann das Handeln ...

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